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"Pump it up!" Über Herzratenvariabilität, Hautleitwert und Körpertemperatur. Warum Biofeedback die Neurofeedback-Therapie ideal ergänzen kann

30. November 2021

Biofeedback beschreibt eine Methode, die den Weg zu einer besseren Wahrnehmung und Regulation des eigenen Körpers bieten kann. Im Biofeedback wird mit peripheren körperlichen Parametern - auch Biosignale genannt - gearbeitet, dies können beispielsweise Muskeltonus, Herzschlag oder Atemfrequenz sein. Elektroden, die zum Beispiel direkt auf der Haut angebracht werden, oder in einem Brustgurt oder einem Fingersensor montiert sind, messen dabei periphere physiologische Parameter. Diese Signale werden dann auf einem Bildschirm zurückgemeldet - entweder einfach als Kurven oder aber in Animationen. 
Biosignale lassen Rückschlüsse auf das aktuelle Stresslevel schließen - die eigene körperliche Reaktion wahrnehmen zu können, kann eine Bereicherung für die therapeutische Arbeit, oder aber auch für das Training von Entspannung oder Konzentration darstellen. Entsprechend wird Biofeedback sowohl als Therapiebaustein bei psychischen und physischen Erkrankungen als auch im Leistungs- und Konzentrationstraining - dem sogenannten Peak Performance - oder dem Leistungssport eingesetzt. 

In diesem Blogbeitrag wollen wir auf zentrale Parameter und Funktionsweisen von Biofeedback eingehen und auch beleuchten, inwiefern eine Kombination von Bio- und Neurofeedback in der Therapie sinnvoll gestaltet werden kann. 

 

Pump it up - die Herzrate und Herzratenvariabilität im Biofeedback 

 

Der Puls ist ein biologischer Parameter, der sich je nach äußerlichen und inneren Anforderungen verändert. Nicht nur ein gleichmäßiger Puls, sondern auch die Anpassungsfähigkeit der Herzrate an verschiedene Anforderungen - die sogenannten Herzratenvariabilität (HRV) -  ist ein zentraler Parameter im Biofeedback. 
Als Herzratenvariabilität wird die Variation des zeitlichen Abstands zweier Herzschläge bezeichnet (auch: beat to beat intervall). Diese ist in Zeiten der Entspannung länger als bei körperlichen oder emotionalen Stress. Eine hohe Herzratenvariabilität spricht für eine gute (periphere) Selbstregulation, denn sie indiziert, dass der Organismus die Herzrate je nach Anforderungen anpassen kann und die optimale Frequenz für die jeweilige Situation findet. Eine niedrige Herzratenvariabilität hängt oft mit einem Problemen im Umgang mit stressvollen Situationen, Erinnerungen oder Stress im Allgemeinen zusammen. 

Gerade bei Patienten mit Angststörungen, Depressionen oder chronischen Schmerzen kann ein Biofeedback mit dem Training der Herzratenvariabilität hilfreich sein. Oft ist diesen Patienten die Verbindung zwischen ihren emotionalen Belastungen und den körperlichen Reaktionen nicht bewusst und die Wahrnehmung des eigenen Körpers funktioniert nicht gut, da sie dauerhaft einen sehr hohen Stresslevel haben. Hier zu trainieren, zentrale Parameter wie Herzschlag und Atmung wahrzunehmen, zu beeinflussen, zu synchronisieren und so das allgemeine Stressniveau zu senken, kann in der Therapie ein Schlüsselerlebnis darstellen und den Patienten vor Augen führen, dass sie durchaus Kontrolle über ihren körperlichen und psychischen Zustand haben.

 

Dreimal tief durchatmen - die Atmung in Biofeedback 

 

Sie kennen sicher den Tipp, den Laien-Literatur und Großmütter gerne immer dann geben, wenn jemand gestresst ist: Dreimal tief durchatmen. Hilft das wirklich? Ein kleines Experiment: Legen Sie Ihre Hand auf den Bauch. Atmen Sie tief in Ihren Bauch ein, spüren Sie, wie die Hand sich hebt, wie sich ihr Bauch wölbt, halten Sie, wenn der Bauch maximal gewölbt ist, kurz die Luft an und atmen Sie dann langsam und gleichmäßig wieder aus. Spüren Sie, wie die Luft erst aus dem Bauch und dann aus den Spitzen der Lungen, über die beiden Lungenflügel und die Atemwege nach draußen strömt. Wiederholen Sie dies dreimal. Was fällt Ihnen auf? Wie führen Sie sich? Wie hat sich ihr Herzschlag verändert? 

Der HERZSCHLAG?! Genau - Atmung und Herzschlag hängen physiologisch eng miteinander zusammen. In einem entspannten Zustand korrelieren Herz- und Atemrate, dies nennen wir auch “respiratorische Sinusarrhythmie”. Beim Einatmen wird die Herzrate dabei höher, das sympathische Nervensystem wird aktiviert und beim Ausatmen wird die Herzrate niedriger, das parasympathische Nervensystem wird aktiviert. In Stresssituationen dreimal tief ein und aus zu atmen kann so dabei helfen, nicht nur bessere Bewusstsein und Kontrolle über die eigene Atmung zu erlangen, sondern in der Folge auch die Korrelation von Atmung und Herzschlag zu synchronisieren. 

 

Sweat Baby, Sweat - der Hautleitwert im Biofeedback

 

Der Hautleitwert wird in der Regel über Elektroden am Finger erfasst. Die Beschaffenheit der Haut unterscheidet sich an der Handfläche von der an anderen Körperregionen - an der Handfläche verfügt die Haut über besonders viele Schweißdrüsen. Diese Schweißdrüsen, die vom Sympathikus innerviert werden, reagieren auf Stress rasch mit einer Steigerung ihrer Drüsen Aktivität.  Ist die Handfläche trocken und die Aktivität der Schweißdrüsen niedrig, ist auch der Hautleitwert gering. Da es sich bei Schweiß um eine salzhaltige Flüssigkeit handelt, steigt der Hautleitwert  - gemessen durch 2 Elektroden an den Fingern - bei zunehmender Aktivität der Schweißdrüsen.

Ist der Hautleitwert im Ruhezustand konstant und niedrig, spricht dies für einen entspannten Zustand, schwankt er allerdings ständig ohne erkennbaren Grund, kann dies ein Hinweis darauf sein, dass selbst eigentlich neutrale Reize stressig empfunden werden. Wird dann ein Stressor präsentiert - es reicht manchmal auch die Erwähnung oder der Gedanke an eine stressvolle Situation, steigt der Hautleitwert in der Regel schnell an. Bei gesunden Menschen erreicht er nach 1-2 Minuten wieder sein Ausgangsniveau. Bei Patienten, die Probleme in der emotionalen Regulation haben, kommt es aber auch vor, dass der Hautleitwert nach dem Stressor lange Zeit auf einem hohen Niveau bleibt. Da der Hautleitwert schnell auf stressvolle Reize anspringt und einfach zu messen ist, eignet er sich in der Therapie besonders gut als psychophysiologischer Spiegel - und gibt den Wechsel von An- und Entspannung wieder. Er kann aber auch als Unterstützung im Entspannungstraining oder beim Erlernen verschiedener Entspannungstechniken eingesetzt werden.


 

It is getting hot in here - die Körpertemperatur im Biofeedback 

 

Die Temperatur wird in der Regel über einen Sensor am Finger gemessen. In einem entspannten Zustand entspannt sich in der Regel auch die glatte Muskulatur in den Wänden der Blutgefäße, was dazu führt, dass mehr Blut in die Extremitäten fließt - wir erkennen das häufig daran, dass sich ein Wärmegefühl in den Händen einstellt. Eine einsetzende Entspannung geht also mit einer Erhöhung der Temperatur in den Extremitäten einher. Unter Stress oder Anspannung zieht sich die Muskulatur in den Gefäßwänden zusammen, die Gefäße werden enger und weniger Blut gelangt in die Extremitäten und es kommt oft zu einem Absinken der Körpertemperatur. Die Körpertemperatur reagiert dabei meistens etwas verzögert, von Beginn der Stressreaktion bis zu einem Absinken der Körpertemperatur in den Extremitäten können durchaus 1-2 Minuten vergehen.
 
Die Körpertemperatur Hautleitwert kann in der Therapie beispielsweise eingesetzt werden, um den Einfluss von Gedanken und Vorstellungen auf die Physiologie zu demonstrieren, manchen Patienten gelingt es nämlich durch die Vorstellung von Wärme/Kälte eine Veränderung der Temperatur zu erreichen, und auch im Entspannungstraining kann die Körpertemperatur eine Rolle spielen. 

 

Die Kombination von Bio- und Neurofeedback 

 

Beim symptombasierten Infra Low Frequency (ILF) Neurofeedback sind die Symptome und die Zustandsänderungen des Patienten die zentralen Komponenten. Viele dieser Symptome beziehen sich ebenfalls auf Korrelate von Stress und Entspannung. Die Hinzunahme von Biofeedback Parametern kann entsprechend eine sinnvolle Ergänzung für ILF Neurofeedback darstellen. So wird es für Patient und Therapeut möglich, auch die physiologischen Korrelate der Zustandsänderungen in die Therapie einzubeziehen. Patienten, die Veränderungen in ihrem Stress - und Entspannungszustand nicht gut wahrnehmen oder verbalisieren können, erhalten darüber eine weitere Möglichkeit, Veränderungen durch das Neurofeedback nachzuvollziehen und zu erleben. Auch Veränderungen, die teilweise unter der Wahrnehmungsschwelle liegen, können durch die Messung peripherer Signale sichtbar gemacht werden und Eingang in die Therapie finden. Bei skeptischen oder angespannten Patienten kann der Einbezug der Biofeedback Parameter im Sinne der Psychoedukation auch dabei helfen, die Verbindung von Psyche und Physiologie sicht- und erlebbar zu machen, den Patienten das Setting mit Elektroden näher zu bringen und die mögliche Angst vor Veränderungen durch die Therapie schrittweise zu nehmen, um de Patienten so sanft an Neurofeedback heranzuführen. 
Der Therapeut kann in den physiologischen Parametern Anzeichen für Stress und Entspannung ableiten und entsprechend die Therapie optimieren, beispielsweise durch eine Frequenzänderung.

 

Modernes Biofeedback mit der AliveⓇ Software 

 

Die vier zentralen Parameter - Herzratenvariabilität, Atmung, Hautleitwert und Temperatur - separat zu messen und in Kurven oder Animationen zurückzumelden ist mit unserer kombinierten Biofeedback Lösung aus Combisensor und AliveⓇ Software nicht mehr nötig. Der Combisensor - eine Fingersensor mit Elektroden - wird am Zeigefinger befestigt, leitet Biosignale ab  und meldet diese an die Software AliveⓇ zurück, welche daraus Graphen und Kurven generiert, die einen hohen Informationsgehalt für Patienten und Therapeuten aufweisen.  Der Combisensor kann einfach mit dem NeuroAmp verbunden werden und die Softwarepakete Cygnet und Alive können parallel bedient werden.

Die AliveⓇ Software enthält eine Vielzahl von Animationen, Workshops und Tutorials und bietet vielseitige Einsatzmöglichkeiten für die vier peripheren Signalen. Die Alive Feedbacks werden - ähnlich wie in Cygnet - auf zwei Bildschirmen dargestellt, wobei der Therapeut auch das tatsächlich abgeleitete Biosignal sehen kann. Dies ermöglicht es dem Therapeuten auch, die Software gleichzeitig mit Neurofeedback und Cygnet zu nutzen. Mit AliveⓇ ist es aber auch möglich, die beliebten Cygnet Animationen wie Innertube, Tropical Health oder Dreamscapes für Biofeedback zu benutzen. Alive enthält aber auch spezifische, ruhige Feedback Optionen exklusiv für Biofeedback, die besonders für ängstliche und angespannte Patienten geeignet sind. Auch detaillierte Reports können über die Software erstellt werden. 

Mit Alive lässt sich Biofeedback sowohl als separater Therapiebaustein einsetzen als auch in Kombination mit Neurofeedback nutzen. 

 

Biofeedback in Theorie und Kurse - Unser Lehrangebot 

 

Da beim Biofeedback periphere Parameter adressiert werden ist im Gegensatz zum Neurofeedback - wo mit zentralen Erregungsparatemern gearbeitet wird - kein obligatorisches Einsteiger Kurs notwendig. Biofeedback kann auch in anderen Therapie- oder Trainings Settings ein sinnvoller Baustein sein, beispielsweise im Peak Performance oder dem Leistungssport. 

Um den Umgang mit Fingersensor und AliveⓇ zu erlernen und praktisch auszuprobieren, bieten wir regelmäßig einen Einstiegskurs für Biofeedback Theorie und Praxis an. Weitere Informationen finden Sie unter Kurse.

 

Literaturempfehlung

 

Für Interessierte, die sich intensiver mit Parametern im Biofeedback beschäftigen möchten, empfehlen wir das Kapitel 2, “Peripheres Biofeedback”  in folgendem Springer Lehrbuch: 
Haus KM. et al. (2020). Praxisbuch Biofeedback und Neurofeedback. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-59720-0_1 (auf Deutsch)